Die Synagogen in Bleicherode
Menschen jüdischen Glaubens waren in Bleicherode schon vor 700 Jahren ansässig, als nämlich nachweislich der Schutzjude Abraham in der Stadt lebte. Die Heimathistoriker Wilhelm Kolbe und Hans-Joachim Diedrich haben diese lange Geschichte der jüdischen Gemeinde von Bleicherode dargestellt. Gewiss haben die jüdischen Einwohner auch stets ihren Glauben praktiziert und an ihm durch alle Gefährdungen hindurch festgehalten. Glaubenskraft und Geschichtsbewusstsein haben das jüdische Volk in der weltweiten Diaspora zusammengehalten. Aber einen offiziellen Betraum, eine sogenannte Judenschule oder eine Synagoge bauten die Juden in Bleicherode über Jahrhunderte hinweg nicht. Das erforderte eine kontinuierliche Stärke der Gemeinde und einen gewissen Wohlstand. Die Erneuerung der Alten Kanzlei ist Anlass, sich der Synagogengeschichte von Bleicherode zu erinnern, denn in diesem Gebäude befanden sich die ersten Beträume der jüdischen Gemeinde von ca.1725 bis 1882, also bis zur Einweihung der großen Synagoge in der Obergebraer Straße.
Um 1725 war die jüdische Gemeinde auf Grund der liberalen Politik von König Friedrich Wilhelm L von Preußen, dem sogenannten Soldatenkönig, auf 80 Einwohner der Stadt angewachsen. Dazu trug auch eine königliche Anordnung bei, nach der die Juden vom Lande in die Städte ziehen sollten. „Schon um diese Zeit hatte die jüdische Gemeinde eine kleine Schule in eines Bürgers Haus gemietet“, heißt es in einer Eingabe vom 06.08.1774 an den König. In ihr wurde um die Zustimmung zur Errichtung einer neuen, kleinen Judenschule (= Gebetsraum oder Synagoge) auf Kosten der Gemeinde nachgesucht. Die Erstscheidung zog sich über Jahre hin, weil eine Konkurrenz zwischen Ellrich und Bleicherode bestand. Nach 1739 bekam wohl Ellich den Zuschlag. Die seit ca.. 1725 von der Synagogengemeinde angemieteten Raume haben sich in dem Burgsitz des Kriegsrats Stöckelmann, heute Alte Kanzlei, befunden. Schon Stöckelmann hatte also die Judenschaft aufgenommen, nicht erst die neue Eigentümerin Gräfin v. Hagen im Jahr 1791, was bisher angenommen wird. Das ergibt sich aus dem Vertrag zwischen der Gräfin und der Judenschaft vom 12.12.1791, in dem auf Grund einer Verpflichtung der Gräfin im Kaufvertrag mit den Stöckelmannschen Erben (06.01.1790) die Raumnutzung neu geregelt wird. Nach dem Vertrag wurden die Räume schon „seither und „bisher- benutzt. Dies bestätigt noch klarer eine behördliche Stellungnahme vom 16.09.1793, in der es heißt, die Absicht der Judenschaft gehe dahin, "diejenigen Zimmer auf dem von Hagensehen Burgsitze, wo rinnen sie seit den Jahre 1730 ihren Gottesdienst gehalten, in eine Synagoge zu verwandeln“. Die jüdische Gemeinde sagt in einer Eingabe vom 20.07.1793, sie benutze die Kanzleiräume schon „seit der Zeit, dass die Grafschaft Hohenstein den Allerhöchsten Vorfahren Ew. Königlichen Majestät zugefallen ist" (1698).
Der Vertrag vom 12.12.1791 regelt die Nutzung der Kanzleiräume auf Dauer, um der jüdischen Gemeinde Sicherheit zu gehen Die Gräfin handelte hierbei aus großer moralischer Verantwortung und edler humanistischer Verantwortung. Die in der 2. Etage zur Abendseite hin gelegenen Räume wurden der Judenschaft zur ewigen Nutzung als Synagoge überlassen, „um der Judenschaft zu Bleicherode einen Beweis einer gegen sie als Mitmenschen hegenden moralischen guten Gesinnung zu geben..." Das Nutzungsrecht der Judenschaft wurde auch nach dem Verkauf der Kanzlei an den Chirurgen Goldkorn und den Wechsler Michel Friedländer anerkannt (Hypothekenschein vorn 28.01.1620).
Der Vertrag von 1791 hat ein noch immer bestellendes Treppenproblem ausgelöst. Nach ihm und dem Hypothekenschein vorn 30.11.1793 musste die Judenschaft „den Eingang zu den ihr zur Synagoge übergebenen Zimmern von der Straße her, auf der außerhalb dem Burgsitz angelegten hölzernen Treppe nehmen." Es besteht noch heute eine gewisse Unsicherheit darüber, wo sich diese Treppe in die 2. Etage befunden hat. An der westlichen Giebelseite? Dann müsste das Haus Nr. 132 erst nach 1882 gebaut worden sein. An der Hofseite? Dann hätte man das Fensterlicht der dortigen Räume beeinträchtigt. Außerdem, wie konnten die Juden die Treppe von der Straße her erreichen? Für den Kündigungsfall waren die Hagen'schen Erben verpflichtet, eine neue Synagoge zu errichten, „wozu der leere Raum von dem zum Burgsitz gehörigen Garten, der dicht an der Synagoge zwischen dem Burgsitz und der Gartenmauer gegen Abend belegen, so breit als der Burgsitz ist, genommen werden soll. Die Judenschaft ist sodann gehalten, den Eingang in diese ihr zu erbauende Synagoge von der Straße her zu nehmen- (Hypothekenschein v. 30.11.1794. Bei den Sanierungsarbeiten wurde an der Giebelseite eine ehemalige Öffnung festgestellt, die zu dem Schluss rührt, dass nur hier der Treppenzugang gewesen sein kann.
Die Synagoge in der Kanzlei wurde bis 1882 genutzt. Zu dieser Zeit war die jüdische Gemeinde stark angewachsen (1861: 112 und 1890:144 jüdische Einwohner). Obendrein wurde die Kanzlei verkauft. Die Gemeinde hatte Unternehmer hervorgebracht, die durch Handel und Gewerbe sowie durch Gründung von Webereien wohlhabend geworden waren. So ergab sich der Plan, für eine neue Synagoge. 1880 erfolgte die Grundsteinlegung auf dem unteren Eckgrundstück Obergebraer Straße/Gartenstraße. Der Architekt Opfer aus Hannover, der auch die Synagogen in Hannover, Breslau und Schweidnitz gebaut hatte, passte die Architektur der christlichen Umwelt an. Im Inneren stand ein beeindruckendes Almen (Altar), dessen Prachtstück der dunkelrote Vorhang vor der Bundeslade war, auf dem sich eine Stickerei aus Goldfäden mit den rnosaischen Gesetzestafeln befand. Am 01.07.1892 erfolge die Einweihung im Rahmen eines die ganze Stadt erfassenden Festaktes, dessen Programm erhalten ist. Nach dem ganzseitigen Bericht der Bleicheröder Zeitung fand in der Kanzlei ein Abschiedsgottesdienst statt. Von dort begab sich ein langer Festzug am Rathaus vorbei in die Obergebraer Straße mit Stadtkapelle, Ehrenjungfrauen, Thoraträgern, Ehrengästen, jüdischer Gemeinde und sicher zahlreichen Zuschauern am Straßenrand. Im Festgottesdienst für die Einweihung der neuen Synagoge sprachen der aus Bleicherode stammende Landesrabbiner Prof Heidenheim, der Rabbiner Leimdörfer aus Nordhausen und Prediger Frank. Die Texte sind überliefen. Zur Einweihung des Gotteshauses wurde die jüdische Gemeinde enttäuscht, da die Vertreter der anderen Religionen und Politiker die Einladung zur feierlichen Einweihung nicht annahmen.
Abends fand im Ratskellersaal ein Festbankett mit 300 Teilnehmern statt. 100 Paare tanzten. Es war ein Fest aller, Juden oder Christen. Auch wenn in den Ansprachen während des Gottesdienstes auf den damals auflebenden Antisemitismus hingewiesen wurde, so war davon in Bleicherode wenig oder nichts zu spüren. Jedenfalls schrieb damals der Heimatdichter Bäckermeister Daniel in einem an den Bankier Bleichröder in Berlin gerichteten Bittgedicht:
„In Bleicherode nisten die Juden und die Christen in Frieden und in Einigkeit.
Die spätere Entwicklung der Synagogengemeinde von Bleicherode verlief parallel zur Integration und Assimilation der jüdischen Bevölkerung in Deutschland und zur allgemeinen Liberalisierung während dieses Prozesses. Dem entsprach die Abnahme der jüdischen Glaubenskraft. In der Predigt zum 25. Jubiläum der Synagoge (1907) wurde dies vom Rabbiner beklagt. Die Säkularisierung machte auch vor den Synagogengemeinden nicht halt. Gleichwohl war die Synagoge in der Obergebraer Straße das eindrucksvolle Symbol der Eigenständigkeit und Bedeutung der Synagogengemeinde von Bleicherode. Für das Stadtbild war sie eine Bereicherung. So war es denn kein Wunder, dass sie in der Nacht zum 9. November 1938 dem Hass der Bleicheröder Nazis zum Opfer fiel. Die Ruine der Synagoge sollte zunächst auf Kosten der dezimierten Synagogengemeinde abgerissen werden. Die Stadt kaufte dann das Grundstück und verrechnete den Kaufpreis mit den von ihr übernommenen Abrisskosten. In der DDR-Zeit, in der man die Politik des „Schwamm drüber“ pflegte, wurde das Grundstück bebaut. An an der Straßenecke erinnert ein kleiner Gedenkstein an die Synagoge einer einstmals großen jüdischen Gemeinde von Bleicherode. Die Verdienste, die sich viele jüdische Bürger um die Stadt erworben haben, schienen noch vor wenigen Jahren vergessen. (Dr. Dirk Schmidt )
Seit dem 24.03.2024 hat die zerstörte Synagoge wieder Gesicht. Der Bleicheröder Künstler Kai Hartmann schuf das detailgetreue Modell im Maßstab 1:30 aus Lindenholz. Gezeigt wurde das Synagogenmodell der Öffentlichkeit zum jüdisch israelischen Kulturtag am 24.03.2024 während einer Andacht mit einem Friedensgebet in der evangelischen St.-Marien-Kirche von Bleicherode. Diese Andacht wurde gemeinsam von Christoph Maletz, Prädikant der evangelischen Gemeinde und dem katholischen Pfarrer Rudolf Knopp gestaltet. Eröffnet wurde die Andacht mit einer Vertonung des Psalms 24 (Hoch tut euch auf), dargeboten vom Kirchenchor und Margarita Yeromina an der Orgel. Wie überliefert, soll dieser Psalm auch am 1. Juni 1882 zur Einweihung der Synagoge gesungen worden sein. Während des Friedensgebets betonten Christoph Maletz sowie auch Rudolf Knopp gleichermaßen, dass Frieden und Unfrieden im Kleinen beginnen und die Menschen scheinbar aus der Vergangenheit nichts gelernt hat. „Der Herr gebe Euch Frieden, in der Familie, der Gemeinschaft und in der ganzen Welt“, so lautete der eindringliche Schlussappell. Das das Modell der Bleicheröder Synagoge zuerst in der evangelischen Kirche präsentiert wurde, zeugt von einer aktiv gelebten Ökumene. Die offizielle Einweihung des Synagogenmodells erfolgte anschließend im Rahmen eines Festaktes im Bleicheröder Kulturhaus.
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Der jüdische Friedhof von Bleicherode
Der Friedhof liegt am Südhang der Bleicheröder Berge, oberhalb der Schustergasse. Ein Weg dahin führt über einen Waldweg von der Straße "Vogelberg". So liegt auch ein Teil des Friedhofs direkt im Wald. Der Friedhof ist die älteste noch erhaltene jüdische Begräbnisstätte im Landkreis Nordhausen. Die im Jahre 1728 legte die 155 Mitglieder umfassende jüdische Gemeinde der Stadt diesen Friedhof an. Die Juden der Stadt mussten dafür jährlich eine Abgabe von 12 Groschen leisten. Die Friedhofsfläche umfasst 1800 m² mit etwa 227 Grabstellen auf 12 terrassenförmigen Ebenen.
Männliche und weibliche Verstorbene wurden in gemischten Reihen beigesetzt. Bei den älteren Gräbern in den ersten elf Reihen wurden die Grabstätten in Form von Einzelgräbern chronologisch angelegt. Bei verstorbenen Ehepaaren wurde oft eine identische Grabsteingestaltung als Zeichen der familiären Zugehörigkeit gewählt. Ab der zwölften Reihe, angelegt ab den 1890erJahren, kommen vermehrt Doppelgräber von Eheleuten vor. Eine Urnenbeisetzung von 1908 weicht von der jüdischen Bestattungskultur ab. Die letzte Bestattung auf dem Friedhof war 1938. Symbole aus dem Judentum wie ein aufgeschlagenes Buch, eine abgebrochene Säule und das Herz sind zu finden. Am noch existierenden Eingang in der Schustergasse sind Reste der Bodenplatte und des Felssteinsockels eines um 1866 errichteten Schuppens für den Leichenwagen zu sehen. Ebenso befindet sich dort ein mit Backsteinen eingefasster Brunnen.
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